Bad Berleburg. Auguste! Hans Wolfgang! Helmut! Käthe! Kurt! Moritz! Werner! Und plötzlich war es still. Jeder Name hallte als Mahnung nach – mit dem stetigen Klopfen des Hammers. Das einzige Geräusch, das wahrnehmbar zu hören war. Damit schlug Mika Lauber die Stolpersteine in den Boden ein. Jeder Schlag, den der Bauhof-Mitarbeiter der Stadt Bad Berleburg setzte, war einer mit Bedacht, nicht zu laut. Und doch ging jeder einzelne Schlag direkt ins Mark der gut 70 Gäste. Denn mit jedem Schlag grub sich die Erinnerung ein bisschen tiefer ins Gedächtnis. Erinnerungen an insgesamt sieben Menschen – deutsche Juden, die unter der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten litten oder auf grausame Art und Weise den Tod fanden.
Für alle von ihnen finden sich nun die frisch eingeschlagenen Stolpersteine im Boden vor dem ehemaligen Wohnhaus von Auguste Gonsenhäuser wieder – in der Jacob-Nolde-Straße 5 in Bad Berleburg. „Nie wieder ist jetzt – dieser Slogan hallt weiter durch Deutschland und unsere Straßen. Sich eindeutig gegen Rechtsradikalismus zu positionieren, gegen Hass und Hetze in jeglicher Form vorzugehen, das ist wichtiger denn je. Eindeutig Farbe für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit zu bekennen ebenfalls“, erklärte Bernd Fuhrmann. Der Bürgermeister der Stadt Bad Berleburg freute sich daher umso mehr über das klare Zeichen für ein friedliches Miteinander, für Toleranz und Akzeptanz, das insgesamt 15 Schülerinnen und Schüler der Ludwig-zu-Sayn-Wittgenstein-Schule gemeinsam mit ihrer Lehrerin Ute Bänfer setzen: „Das zeigt, dass die Idee der ,Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage‘ aufgeht.“ Auf Grundlage der intensiven Forschungen von Thomas Kemper, der in den vergangenen Jahren unermüdlich zu den Lebensgeschichten der Mitglieder der Familie Gonsenhäuser recherchiert hatte, hatten sie die Gedenkveranstaltung vorbereitet. Mit dem Lied „Shalom haverim“ – „Friede, Freunde“ –, das sie gemeinsam mit dem Chor „Singsation“ sangen. Und mit der bildhaften Darstellung des Lebens von Auguste Gonsenhäuser.
Insgesamt 14 ihrer Enkel und Urenkel waren eigens aus den USA und Südafrika angereist, um bei dieser denkwürdigen Veranstaltung dabei zu sein und mehr über das Leben von Auguste sowie ihrer weiteren Familienmitglieder zu erfahren. Einige von ihnen retteten sich damals ins Exil – für Auguste Gosenhäuser endete das Leben wie sie es kannte an diesem Tag vor genau 82 Jahren. Nach einer unendlich qualvollen Reise endete ihr Zug mit unzähligen weiteren deutschen Juden in Estland – von dort aus ging es mit dem Bus nach Kalevi-Liiivaa in den Tod: SS-Soldaten ermordeten 1200 Menschen, darunter auch Auguste Gonsenhäuser. „Ein tragisches Ende für unsere Großmutter – eine Frau voller Selbstlosigkeit und Mut. Eine aufopferungsvolle Großmutter, deren Liebe zu ihren Söhnen und vielen anderen zum ultimativen Opfer wurde“, wusste Alan Gonsenhauser. Sichtlich ergriffen rang der Enkel von Auguste nach Worten: „Wir stellen uns eine bessere Welt vor, in der alle Menschen einander lieben und respektieren, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Nationalität oder ihrer Religion.“
Besonders dankbar war er den Schülerinnen und Schülern für die würdige Begleitung der Gedenkveranstaltung – und Thomas Kemper „für seine umfassenden und hervorragenden Nachforschungen über jedes unserer Familienmitglieder“. Damit hatte er ganz neue Erkenntnisse über die Familie zu Tage gefördert, von der zwar bekannt war, dass sie in Bad Berleburg gelebt hatte – in dieser Tiefe allerdings war vieles neu und umfangreicher als gedacht. Unter anderem fand er im Bundesarchiv in Wiesbaden einen Gestapo-Fragebogen, mit der Unterschrift von Auguste Gonsenhäuser. Diesen hatte sie unter Zwang ausfüllen müssen. Bis vor einem Jahr gab es quasi keine Informationen, über Auguste Gonsenhäuser, die 1893 im hessischen Wetter bei Marburg das Licht der Welt als Auguste Bachenheimer erblickte – und deren Leben 1942 durch die Gestapo ein ebenso jähes wie grausames Ende fand. Mit ihrem Mann Moritz und ihren Kindern lebte sie in der damaligen Mittelstraße, die heute Jacob-Nolde-Straße heißt. Auf diese Weise schenkte Thomas Kemper, der den Kontakt zur Familie hergestellt hatte, „großartige Erfahrungen und Erinnerungen für ein ganzes Leben – weit mehr, als unsere Eltern uns jemals über ihr Leben erzählt haben“.
Die Nachfahren von Auguste Gonsenhäuser waren ebenso ergriffen wie dankbar. Dass die Ur-Enkelin von Auguste, Natalie, Armbänder mit der gravierten Unterschrift von ihrer Ur-Großmutter vorbereitet hatte, sprach Bände – dass sie diese an die Schülerinnen und Schüler sowie alle Beteiligten verteilte, hätte kaum eine größere Symbolkraft haben können. Genau darum ging es: „Wir wollen Ihnen ein Stück Ihrer Heimat zurückgeben, die Ihre Vorfahren hier verloren haben“, erklärte Bernd Fuhrmann. Mit einem Gedenken an alle Familienmitglieder, mit zwei neuen und fünf aktualisierten Gedenksteinen – und mit einem Fanal für die Erinnerung: Auguste! Hans Wolfgang! Helmut! Käthe! Kurt! Moritz! Werner! Und plötzlich war es still.
Insgesamt 66 Stolpersteine liegen nun im Stadtgebiet von Bad Berleburg – sieben davon in der Jacob-Nolde-Straße, die an die Familie Gonsenhäuser erinnern. In der Kernstadt sind nun 46 Steine zu finden, weitere in der Hochstraße 6 und 17, der Emil-Wolff-Straße 5, 9 und 15 sowie in der Ederstraße 2, 5, 15, 19 und 20. In Arfeld liegen drei Stolpersteine in der Haupstraße 30, in Schwarzenau weitere zwölf in der Straße An der Eder 4 und in der Alexander-Mack-Straße 7. Zudem finden sich fünf Stolpersteine in Beddelhausen in der Beddelhäuser Straße 24.

Bildunterschrift: Auf den Spuren von Auguste Gosenhäuser: Vor dem einstigen Wohnhaus ihrer Großmutter versammelten sich die Nachfahren. Die Nationalsozialisten deportierten sie auf den Tag genau vor 82 Jahren in den sicheren wie grausamen Tod – am Jahrestag fanden die Stolpersteine ihren Platz.

(Foto: Stadt Bad Berleburg | Stand: 28.09.2024, 10:30 Uhr)